Der perfekte Mann? Der Druck des Idealbilds und seine Folgen
Von Marco Schwendemann- Grath
Das traditionelle Bild vom Mann hat sich im Laufe der Jahrzehnte stark gewandelt. Während früher Stärke und Erfolg oft mit beruflichem Status oder Familienführung assoziiert wurden, ist es heute mehr denn je das äußere Erscheinungsbild, das zählt.
Der perfekte Mann soll athletisch sein, mit breiten Schultern, definiertem Bauch und starken Armen – das sogenannte „V“-förmige Aussehen, das durch unzählige Fitness-Influencer in sozialen Medien propagiert wird. Ergänzt wird dieses Ideal durch makellose Haut, dichtes Haar und ein Lächeln, das Selbstsicherheit ausstrahlt.
Fitnessstudios und Sportmarken greifen dieses Ideal auf und setzen es gezielt in Szene. Männerzeitschriften und Influencer schüren den Traum vom perfekten Körper, indem sie Diäten, Workouts und „Transformation Stories“ präsentieren. Die Botschaft ist klar: Jeder kann es schaffen – mit Disziplin, Schweiß und einem kompromisslosen Lebensstil. Doch diese Botschaft hat Schattenseiten.
Die ständige Konfrontation mit Idealbildern hinterlässt Spuren. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Gesundheit steigt die Zahl der Männer, die unter Körperunzufriedenheit leiden, kontinuierlich. Immer mehr Männer fühlen sich „nicht gut genug“, wenn sie in den Spiegel schauen. Die Folge: Ein Boom in Fitnessstudios, aber auch ein Anstieg von riskantem Verhalten, wie der Einnahme von Muskelaufbaupräparaten oder Steroiden.
Darüber hinaus wächst die Gefahr psychischer Probleme wie Depressionen, Essstörungen und Angstzuständen. Der Begriff „Bigorexie“, auch als Muskelsucht bekannt, beschreibt das Phänomen, bei dem Männer zwanghaft versuchen, immer muskulöser zu werden, obwohl sie bereits durchtrainiert sind.
Instagram, TikTok und Co. spielen eine zentrale Rolle in der Verbreitung dieser Schönheitsideale. Algorithmen bevorzugen Inhalte, die optisch ansprechend sind – und ansprechender als ein durchtrainierter Oberkörper, der unter perfekten Lichtverhältnissen in Szene gesetzt wird, geht es kaum.
Influencer, die für Millionen Follower als Vorbilder dienen, posten Trainingsroutinen und Ernährungstipps, die oft unrealistische Standards setzen. Nicht selten greifen sie dabei auf Photoshop oder Filter zurück, was den Druck auf den „gewöhnlichen“ Mann weiter erhöht.
In den letzten Jahren formiert sich jedoch eine Gegenbewegung. Immer mehr Männer und Influencer setzen sich dafür ein, ein realistischeres Bild von Männlichkeit zu vermitteln. Sie zeigen sich ungeschönt, sprechen offen über Unsicherheiten und plädieren für Akzeptanz des eigenen Körpers.
Kampagnen wie „Body Positivity“ oder „Body Neutrality“ versuchen, den Fokus weg von Äußerlichkeiten hin zu Gesundheit und Wohlbefinden zu lenken. Psychologen und Coaches appellieren an Männer, sich von gesellschaftlichen Zwängen zu befreien und individuelle Stärken zu betonen, anstatt einem unerreichbaren Ideal hinterherzujagen.
Das Bild des „perfekten Mannes“ ist eine Illusion, die weder realistisch noch nachhaltig ist. Männer sollten sich bewusst machen, dass wahre Stärke nicht im Aussehen liegt, sondern in Charakter, Gesundheit und Selbstbewusstsein.
Die Herausforderung der Gesellschaft besteht darin, neue Narrative zu schaffen: ein Idealbild, das Vielfalt zulässt und Männer ermutigt, sich selbst treu zu bleiben. Denn am Ende zählt nicht der perfekte Körper, sondern ein erfülltes Leben – unabhängig von Sixpack oder Bizeps.